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STEFAN OEHM

Algorithmus und Spiritualität – Eine Exkursion

Ein essayistischer Text als wissenschaftliches Format? Eine Methode, die Umweg heißt. Eine Exkursion durch Gedankengänge. Ein Flanieren, abschweifen, in Schlangenlinien gehen. Aufhorchen. Quisquilien, die einen ansprechen, an die Hand nehmen, assoziativ zutage fördern, was sonst vielleicht verborgen geblieben wäre.

Seit der Mensch denken kann, versucht er sich die Dinge zu erklären. War er zu Beginn dieser Aufklärung noch ganz gefangen im Mythos, war er Knecht einer höheren Macht und der Logos noch ganz in göttlicher Hand, so hat sich mit dem biblischen Auftrag zur Naturbeherrschung die instrumentelle, nutzenorientierte und damit ökonomisch ausgerichtete Vernunft durchgesetzt, die ganz wesentlich sowohl unsere Denk- als auch unsere Handlungsstruktur prägt.

Mit der Aufklärung selbst hat sich nun ein rationaler Anthropozentrismus eingestellt, der im Positivismus und der mathematischen Grundierung der Welt seinen vorläufigen Höhepunkt fand. "Gott ist tot" konnte Nietzsche jetzt konstatieren. Der Mensch profanierte Gott, den Logos, die Ratio. Er ersetzte Gott durch sich selbst und beanspruchte im Ausgang seiner Relativität dessen absolut gesetzten Status: Ich bin prinzipiell imstande, die Welt zu wissen. Sie voraus zu berechnen. Alles in Weltformeln auszudrücken – von den physikalischen Urgründen bis hin zu menschlichen Verhaltensmustern.

Mit dem Menschen als gottgleicher Autorität übernimmt nun aber eine nüchterne, kalte, rein nutzwertorientierte Rationalität die Herrschaft. Hier kommt ein dialektisches Momentum zum Tragen. Impliziert diese Herrschaft doch einerseits völlige Freiheit und maximale Eigenverantwortung, andererseits aber Vereinsamung, Gleichförmigkeit, Ausweglosigkeit und Abwesenheit von Spiritualität. Unter dieser Last bricht das Individuum zusammen, es will sich ihrer entledigen, in einer idealen Wertegemeinschaft aufgehen, die seinem Wunsch nach einer besseren Welt entspricht und sein immanentes Bedürfnis nach Mythologie befriedigt.

Der Mensch koppelt nunmehr die Herrschaft der Rationalität von sich ab, übergibt sie den von ihm selbst geschaffenen, selbst lernenden und verbessernden Algorithmen als höchster Autorität. Sie sind ihm Vollender der menschlichen Evolution, während er sich dumpf, bar jeder Verantwortung, in den wohlig-warmen Schoss der Gemeinschaft begibt. Und dabei Gefahr läuft, auf ewig zum willfährigen Büttel so reaktionärer wie autoritärer Kräfte zu werden.


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Infos zum Beitrag:

  • Publikationsdatum
    08/2017
  • Bereich/Forum
    Ideologieforschung
    Wissenschaftliches Forum
  • Textart
    Aufsatz

 

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